Als Pferdephysiotherapeutin sehe ich immer wieder, wie wichtig ein gutes Verständnis vom Knochenaufbau und der Entwicklung des Pferdes ist – besonders im Hinblick auf Training, Belastung und Gesundheit. In diesem Beitrag erfährst du, wie das Skelett deines Pferdes aufgebaut ist, wie lange es wächst und worauf du in der Entwicklung achten solltest.
Das Skelett des Pferdes ist mehr als nur „Gerüst“
Das Skelett des Pferdes besteht aus rund 205 Knochen. Es übernimmt gleich mehrere wichtige Aufgaben:
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Stützfunktion – Es gibt dem Körper Form und Halt.
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Schutz der Organe – Zum Beispiel Herz, Lunge und Gehirn.
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Bewegung – Gemeinsam mit Muskeln, Sehnen und Gelenken sorgt es für Mobilität.
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Mineralspeicher – Vor allem Kalzium und Phosphor werden in den Knochen gespeichert.
Die Hauptbereiche des Pferdeskeletts sind:
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Schädel
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Wirbelsäule (Hals-, Brust-, Lenden-, Kreuz- und Schweifwirbel)
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Brustkorb (Rippen, Brustbein)
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Vordergliedmaße (ohne Schlüsselbein! Siehe Schulter-Rumpf-Verbinung)
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Hintergliedmaße
Fohlen kommen zwar mit einem vollständigen Skelett zur Welt, doch dieses ist weich, wachstumsfähig und verändert sich ständig. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Wachstumsfugen (Epiphysenfugen). Hier findet das Längenwachstum der Knochen statt – aber nicht gleichzeitig in allen Bereichen.
Wachstumsfuge – Aufbau, Funktion und Bedeutung
Was ist eine Wachstumsfuge?
Die Wachstumsfuge ist ein knorpeliger Bereich zwischen der Epiphyse (Gelenkende) und der Metaphyse (Schaftbereich) eines Röhrenknochens. Sie ist der Ort des Längenwachstums bei jungen Pferden (und auch anderen Säugetieren).
Sie besteht aus hyalinem Knorpelgewebe und lässt sich in mehrere Zonen unterteilen:
- Reservezone Speicherung ruhender Knorpelzellen
- Proliferationszone Knorpelzellen vermehren sich durch Zellteilung
- Hypertrophiezone Knorpelzellen wachsen und vergrößern sich
- Kalzifizierungszone Der Knorpel beginnt zu verkalken
- Ossifikationszone Knorpel wird durch Knochengewebe ersetzt (Verknöcherung)
Das Zusammenspiel dieser Zonen sorgt für ein kontinuierliches Längenwachstum des Knochens.

Wie funktioniert das Knochenwachstum?
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Zellteilung im Knorpel → neue Zellen entstehen (vor allem in der Proliferationszone)
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Zellen wachsen → sie vergrößern sich
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Mineralisierung → in der Kalzifizierungszone lagern sich Kalziumsalze ein
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Verknöcherung → knochenbildende Zellen (Osteoblasten) ersetzen den mineralisierten Knorpel durch echten Knochen
Mit zunehmendem Alter:
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sinkt die Aktivität der Knorpelzellen
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die Fuge verknöchert vollständig
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die Epiphysenfuge schließt sich und ist röntgenologisch nicht mehr sichtbar
Dann ist das Längenwachstum an dieser Stelle abgeschlossen.
Warum ist die Wachstumsfuge so sensibel?
Da die Wachstumsfugen aus weichem hyalinem Knorpelgewebe bestehen sind sehr verletzungsanfällig – gerade bei:
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zu früher oder intensiver Belastung
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ungleichmäßiger Bewegung (z. B. bei falscher Hufstellung)
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Fehl- oder Mangelernährung (z. B. Kalzium-, Kupfer- oder Zinkmangel)
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Infektionen oder Traumata
Folgen können sein:
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Wachstumsstörungen
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Deformierungen (z. B. Schiefstand der Gliedmaßen)
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Gelenkfehlstellungen
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frühzeitiges Fugen-Schließen
Bedeutung für Züchter, Reiter und Therapeuten Wann ist welches Körperteil ausgewachsen?
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Das Training junger Pferde muss sich an der Knochenreife orientieren.
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Physiotherapie kann helfen, Bewegung und Belastung gezielt zu steuern, um die gesunde Entwicklung der Fugen zu fördern.
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Besonders wichtig: keine zu monotone oder harte Belastung, sondern abwechslungsreiche, natürliche Bewegung (Weidegang, Bodenarbeit etc.).
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Röntgenkontrollen in der Jungpferdezeit können bei Zucht- oder Wachstumsfragen wertvolle Hinweise liefern.
Die Wachstumsfugen sind hochaktive, empfindliche Zonen mit zentraler Rolle im Skelettwachstum des Pferdes. Ihre Gesundheit entscheidet maßgeblich über die körperliche Entwicklung, Belastbarkeit und spätere Rittigkeit eines Pferdes. Wer sie versteht und schützt, investiert in die Zukunft des Pferdes – körperlich und langfristig.
Wann ist welches Körperteil ausgewachsen?

Besonders die Wirbelsäule, also das zentrale Bindeglied zwischen Vorder- und Hinterhand, reift als letztes aus. Hier gilt besondere Vorsicht bei frühzeitigem Reiten und intensiver Ausbildung.
Wann ist ein Pferd wirklich ausgewachsen?
Das hängt ab von:
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Rasse: Ponys reifen schneller als Warm- oder Kaltblüter.
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Fütterung & Haltung: Mangel oder Überversorgung wirken sich direkt auf das Wachstum aus.
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Genetik & individuelle Entwicklung
Faustregel:
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Ponys: ca. 3–4 Jahre
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Warmblüter: 5–7 Jahre
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Kaltblüter oder spätentwickelnde Rassen: bis zu 8 Jahre
Wichtig: Skelettreife bedeutet nicht automatisch körperliche oder mentale Reife! Auch der Muskel- und Sehnenapparat muss sich entsprechend entwickeln.
Warum ist das wichtig für das Training?
Ein unausgereiftes Skelett ist verletzungsanfällig. Zu frühes oder falsches Training kann zu:
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Arthrosen
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Gelenkentzündungen
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Kissing Spines
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Wachstumsstörungen führen
Physiotherapie kann hier einen wichtigen Beitrag leisten:
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Förderung einer gesunden Bewegung
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Unterstützung der Muskelentwicklung
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Verbesserung von Gleichgewicht und Koordination
Ziel ist es, Fehlbelastungen frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden, damit sich das Pferd harmonisch entwickeln kann.
- Achte auf eine gesunde Aufzucht mit artgerechter Bewegung.
- Sorge für eine ausgewogene Fütterung mit allen nötigen Mineralien.
- Lass dein Pferd regelmäßig vom Tierarzt und ggf. Therapeuten begleiten.
- Warte mit dem Anreiten – lieber später, aber nachhaltig.
- Beobachte Auffälligkeiten im Bewegungsablauf oder in der Haltung frühzeitig.
Das Wissen um das Knochenwachstum deines Pferdes hilft dir, Verletzungen vorzubeugen, den richtigen Trainingszeitpunkt zu wählen und langfristig ein gesundes Reitpferd zu fördern. Sei geduldig – jedes Pferd entwickelt sich in seinem eigenen Tempo. Als Pferdephysiotherapeutin unterstütze ich dich gerne dabei.
