Das Kniegelenk des Pferdes ist ein faszinierendes und oft unterschätztes Gelenk. Es spielt eine zentrale Rolle in der Bewegung und Stabilität der Hinterhand – ob beim gemütlichen Ausritt, beim Springen oder bei sportlichen Höchstleistungen.
Wo sitzt das Knie überhaupt?
Das Kniegelenk des Pferdes liegt am Hinterbein nach vorne gelegen, ungefähr auf Höhe der Flanke. Verwechselt wird es gerne mit dem tiefer liegenden Sprunggelenk. Tatsächlich ist das Knie der Bereich, der dem menschlichen Knie entspricht, und es verbindet den Oberschenkelknochen mit dem Schienbein.
Das Kniegelenk besteht aus zwei Teilgelenken:
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Art. femoropatellaris (zwischen Oberschenkel und Kniescheibe)
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Art. femorotibialis (zwischen Oberschenkel und Schienbein)
Beide Anteile liegen in einer gemeinsamen Gelenkkapsel.
Biomechanik – wie das Knie arbeitet
Das Knie wirkt auf den ersten Blick wie ein einfaches Scharnier. Tatsächlich ist es biomechanisch sehr komplex. Seine Hauptaufgabe ist die Beugung und Streckung beim Vorschwingen und Abfußen der Hinterhand. Die Bewegung des Knies ist eng abgestimmt mit Hüfte und Sprunggelenk. Diese feine Koordination ermöglicht flüssige, kraftvolle Bewegungen.
Besonders wichtig ist der M. quadriceps femoris – der vierköpfige Oberschenkelmuskel. Alle vier teile des Muskels verlaufen am ende gemeinsam zusammen und bilden das mittlere Kniescheibenband. In diesem ist die Kniescheibe direkt eingebettet. Dieser Muskel steuert die Bewegung der Kniescheibe und sorgt dafür, dass die Kniescheibe stabil über dem Rollkamm des Oberschenkelknochens gleitet.
Die Kniescheibenschlaufe – raffinierte Aufhängung der Patella
Besonders clever ist der Mechanismus der Kniescheibenschlaufe:
Es gibt drei Kniescheibenbänder. Das innere bildet gemeinsam mit dem in der mitte gelegenen Kniescheibenband und dem Kniescheibenknorpel diese Schlaufe, die die Kniescheibe wie eine „Aufhängung“ an ihrem Platz hält. Diese Konstruktion ermöglicht die berühmte Rastfunktion beim Pferd:
Der M. quadriceps femoris zieht die Kniescheibe über den Rollkamm (Knöcherner Vorsprung am ende des Oberschenkelknochens) und „hakt“ sie dort ein. So kann das Pferd im Stehen ruhen, ohne viel Muskelkraft zu verbrauchen. Sobald es sich wieder bewegen möchte, löst der Muskel die Kniescheibe aus der Rastposition.
Spannsägenkonstruktion – Knie und Sprunggelenk als Einheit
Eine weitere Besonderheit der Pferdehinterhand ist die Spannsägenkonstruktion.
Knie und Sprunggelenk arbeiten dabei immer zusammen:
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Wird das Knie gestreckt, streckt sich automatisch auch das Sprunggelenk.
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Wird das Knie gebeugt, beugt sich auch das Sprunggelenk.
Diese mechanische Kopplung funktioniert über sehnige Muskel-Band-Strukturen der Hinterhand und ermöglicht ein kraftvolles, energiesparendes Abdrücken vom Boden. Gleichzeitig bedeutet sie, dass Probleme am Knie automatisch auch das Sprunggelenk beeinflussen – und umgekehrt.
Was kann im Knie schieflaufen?
Wie jedes Gelenk ist auch das Knie anfällig für Überlastung oder Fehlbelastung. Zu häufigen Beschwerden gehören:
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Patellafixation (Kniescheibe hängt fest)
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Gelenksentzündungen oder Arthrosen
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Blockaden und Bewegungseinschränkungen
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Überlastung der Bänder oder Muskulatur
Erste Anzeichen sind oft kleine Veränderungen im Bewegungsablauf.
Wie Physiotherapie helfen kann
Als Pferdephysiotherapeutin habe ich die Möglichkeit, die Funktionen des Knies gezielt zu verbessern:
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Mobilisation des Gelenks und der umgebenden Muskulatur
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Übungen kräftigen den M. quadriceps femoris und die knienahen Muskulatur
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Training der Koordination und Balance (z. B. Cavaletti- und Bergauf-Training)
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Faszien- und Massagetechniken zur Entspannung verspannter Muskeln
Knie als Schlüssel zur Bewegungskraft
Das Kniegelenk ist viel mehr als nur ein „Scharnier“ – es ist ein komplexer biomechanischer Apparat, der die gesamte Bewegung der Hinterhand steuert. Wer die Anatomie und Funktionsweise versteht und dieses empfindliche Gelenk regelmäßig unterstützt, leistet einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude seines Pferdes.
